Der Tod "fährt" mit

Sie sind Orte der Trauer, Orte des Gedenkens, aber auch Orte der Warnung. Ob an Kreuzungen, mitten in der Stadt oder außerhalb von Ortschaften an Bundes- oder Landstraßen: Wer in Deutschland unterwegs ist, kann sie nicht übersehen. Die Kreuze am Straßenrand sind mittlerweile allgegenwärtig.

05. Februar 2013
Kerstin F. steht immer wieder an der Stelle, an der sie mit Ihrem Mann und ihrer Tochter verunfallt ist. Das war 1995  an der Bundesstraße 404, berichtet die Märkischen Allgemeine. Der Fahrer eines entgegenkommendes Autos, der zu weit nach rechts geriet, ließ der kleinen Familie keine Chance. Der Aufprall soll so stark gewesen sein, dass die gesamte linke Fahrzeugseite aufgerissen wurde. Ihr Mann am Steuer und das dahinter sitzende Kind waren sofort tot. „Ich habe so gut wie gar nichts abgekriegt“, erzählte sie der Zeitung. Das und die Erinnerungslücke rund um den Crash seien ihre Hauptprobleme. Ohne die sterblichen Überreste gesehen und sich persönlich verabschiedet zu haben, werden die Ehemann und Kind beerdigt. Dennoch geht sie selten zu den Gräber. „Für mich ist der Friedhof nur eine kalte, graue Gruft“, erzählte sie der Zeitung. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sie damals an den rigorosen Regeln und Bestimmungen für ein kindgerechtes Grab für Ihre Tochter scheiterte, bekundet Kerstin F. gegenüber der Märkischen Allgemeinen.

Ort des Trosts
"Vielen Menschen ist es ein Grundbedürfnis, einen Ort zu haben, an dem ihre Gedanken zur Ruhe kommen können“, wird der Notfallseelsorger Joachim Harder in eben dieser Zeitung zitiert. Das kann auch der Ort des Geschehens sein. Hier darf getrauert und auch Zwiesprache mit den Verstorbenen geführt werden. Das sei vielen Hinterbliebenen wichtig, weil es dazu beitrüge, mit dem Tod und dem eigenen Schmerz besser umgehen zu können. Darüber hinaus blieben so die emotionalen Verbindungen zu den Verstorbenen erhalten, so der Seelsorger weiter.

Viel Trauerarbeit zu leisten
Die Zahl der Verkehrstoten in Deutschland beläuft sich jedes Jahr auf rund 4.000. Das ist statistisch gesehen und im Verhältnis zur Gesamtzahl aller Verstorbenen mit 0,5 Prozent eine eher verschwindend geringe Zahl. Das Leid, dass sich hinter den Unfällen verbirgt, ist dagegen groß. Denn über ein Viertel aller Verkehrstoten in 2011 wurde nicht älter als 35 Jahre. "Aus der Mitte des Lebens gerissen" ist angesichts dieser Zahl eine sehr beschönigende Redewendung. Es verdeckt, wie schwer es für die Angehörigen sein muss, zu begreifen, was bei dem Unfall wirklich geschehen ist.

Straßenkreuze als Unterrichtsthema

Da jedes Jahr über 100 Kinder im Straßenverkehr sterben, gehört dieses Thema auch in den Schulunterricht. Beschäftigt haben sich in Sachsen-Anhalt damit auch die verschiedene Schulen in Zusammenarbeit mit dem Innen- und dem Kultusministeriums des Landes. Entstanden sind ein Lehrer- und ein Schülerheft, die das Thema inhaltlich hervorragend aufarbeiten. Besonders gut gelungen ist das Schülerheft. Es ist eine Mischung aus Geschichten, Erfahrungsberichten, Protokollen, Statements und Gedichten mit einer sehr ansprechenden Grafik und ästhetischen Bildern. Das Lehrerheft ist als Grundlage für eine entsprechende Unterrichtsreihe zu verstehen. Darüber hinaus gibt das Heft wichtige Informationen zu der dazugehörigen Ausstellung. Diese vom Ministerium des Innern und dem Kultusministerium konzipierte Ausstellung ist Teil der landesweiten Verkehrssicherheitsaktion „Einfach besser fahren“. (www.strassenkreuze.de)

Die beiden Hefte stehen hier zum Download bereit:

Auch Mord und Totschlag
Nicht jedes Kreuz steht aber auch für einen tödlichen Unfall. An der Bundesstraße 3 in Hemmingen, einer kleinen Gemeinde südlich von Hannover, wurde ein brutales Verbrechen begangen. Das Kreuz steht seitlich auf dem Grundstück einer Aral-Tankstelle. Regelmäßig werden frische Blumen aufgestellt und immer wieder flackert das kleine Grablicht in der Dunkelheit. Gedacht wird einem Menschen, der nach einem belanglosen Streit ermordet wurde. Der Täter, so wurde der Fall rekonstruiert, ging zuerst nach Hause. Statt sich aber auf dem Weg dorthin zu beruhigen, holte er ein Messer, kehrte zur Tankstelle zurück und stach sein Opfer nieder.

Kreuze bedürfen regelmäßiger Pflege
So wichtig es den Hinterbliebenen ist, den Verstorbenen zu gedenken, so wenig gibt es ein verbrieftes Recht, ein Kreuz aufzustellen. In der Regel werden die Kreuze an den Straßenrändern von den Landes- und Kreisbehörden geduldet.  Vorausgesetzt sie gefährden nicht die Verkehrssicherheit oder behindern die Straßenarbeiten. Werden die Gedenkorte nicht regelmäßig gepflegt, werden die Holzkreuze irgendwann von der Straßenmeisterei entsorgt. Genauso kann es passieren, dass die Kreuze bei Mäharbeiten beschädigt und dann entfernt werden.

Interaktive Karte als Internetprojekt gescheitert
2008 hat der Künstler Tommy Schmidt eine interaktive Straßenkarte angekündigt. Auf dieser Karte sollte nach Aussagen des Künstlers gegenüber von  tz-online sichtbar gemacht werden, was nicht gesehen wird. Dem Bericht zufolge sollte die Internetseite www.kreuz-am-rand.de nach dem Prinzip funktionieren, das jeder Fotos von den Kreuzen hochladen kann. So sollte eine bundesweite Karte entstehen, die auf pietätvolle Weise die Gedenk- und Unfallorte abbildete. Leider ist aus der Idee nicht viel geworden, denn die Internetseite ist nicht mehr aktiv.

Buchtipp: "Unfallkreuze" von Christine Aka
Wer sich über das Internet hinaus mit dem Thema beschäftigen möchte, dem sei das Buch "Unfallkreuze" von Christine Aka empfohlen. Der Waxmann Verlag schreibt über das 336 Seiten starke und mit rund 120 Bildern versehene Buch: "Kleine Kreuze am Straßenrand sind in den letzten Jahren zu einem überall zu findenden Symbol dafür geworden, dass an dieser Stelle ein Mensch bei einem Unfall ums Leben gekommen ist. Über viele Jahre gestalten Angehörige und Freunde diese Todesorte auf oft anrührende Weise. Für dieses Buch hat die Autorin eine Vielzahl solcher Todesorte dokumentiert und über Jahre beobachtet. Nicht nur die Kreuze, sondern vielfältige Collagen von Liebes- und Freundschaftsbeweisen, Kerzen und Geschenken machen die Unfallorte zu kleinen individuellen Pilgerstätten. Gespräche mit Angehörigen und Freunden zeigen, wie der Todesort in die Trauerverarbeitung eingebunden ist, wie er Gefühle hervorruft und der Suche nach Trost und Nähe dient. Als Indiz für öffentliche Trauer regen Unfallkreuze damit zum Nachdenken über heutige Formen von sinnstiftenden Ritualen und individueller Spiritualität an."

Christine Aka
Unfallkreuze
Waxmann Verlag
ISBN 978-3-8309-1790-8



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