Ohne Abschied - ohne Wiederkehr

Über 60 Jahre sind vergangen, aber die Schicksale von 923 deutschen Zivilisten sind nicht vergessen. Sie wurden zwischen 1950 und 1953 von sowjetischen Militärtribunalen verurteilt, nach Moskau verschleppt und dort hingerichtet. Es ist ein trauriges Stück Geschichte, das die Freude über den Tag der Deutschen Einheit nicht trügen soll. Ein stilles Gedenken ist jedoch angemessen.

01. Oktober 2014
"Der Rechtsanwalt Dr. Linse war am Morgen des 8. Juli 1952 im Auftrag der DDR-Staatssicherheit von bewaffneten Kriminellen direkt vor seiner Wohnung in Berlin-Lichterfelde, Gerichtsstraße Nr. 12, entführt worden. Aufmerksame Passanten hatten noch versucht, das Verbrechen zu verhindern oder wenigstens durch lautes Hupen die Aufmerksamkeit der Polizei oder der US-Armee auf das Geschehen zu lenken, aber vergeblich. Dr. Linse wurde in einem eigens präparierten Auto in den Ostteil der Stadt gebracht." So beginnt das Verbrechen gegen Dr. Walter Linse und das Buch "Hingerichtet in Moskau - Opfer des Stalinismus aus Berlin 1950 - 1953" von Jörg Rudolph, Frank Drauschke und Alexander Sachse .

Ein frei verfügbares PDF dieser Schrift können Sie hier herunterladen (3 MB).

Im Dritten Reich war Dr. Walter Linse als Referent der Industrie- und Handelskammer (IHK) in Chemnitz für die Arisierung jüdischer Unternehmen zuständig und Mitglied der NSDAP. Bereits im Krieg engagierte er sich dann in einer Widerstandsgruppe namens "Ciphero". Nach 1945 organisierte er als Geschäftsführer der IHK Chemnitz die Demontagen deutscher Firmen für die sowjetische Besatzungsmacht. Anfang 1949 flüchtete er nach West-Berlin und arbeitete dort für den Verein "Untersuchungsausschuss freiheitlicher Juristen" (UfJ). Der UfJ beriet Bürger der DDR/SBZ in Rechtsfragen und attackierte das DDR-Regime, unter anderem mit Strafanzeigen gegen SED-Minister. Zudem wurden vom UfJ über die Jahre detaillierte Information zur politischen Justiz der DDR gesammelt und auch nachrichtendienstlich verwertet. Dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) war Dr. Linse damit ein Dorn im Auge. Der MfS verfolgte deshalb das Ziel, ihn wieder in die DDR zurückzuholen. Das geschah am Morgen des 8. Juli 1952. Alle folgenden Bemühungen ihn freizubekommen - auch von offizieller Seite der Bundesrepublik Deutschland und den USA - waren vergeblich. Dr. Walter Linse blieb inhaftiert und wurde am 23.09.1953 in den Räumen des ehemaligen Amtsgerichts von Berlin-Lichtenberg wegen Spionage zum Tode verurteilt. In der Nacht des 15.Dezember 1953 richtete man ihn im Moskauer Gefängnis Butyrka hin.

Der Fall Linse steht hier nur stellvertretend für 923 Bürger, die vom Unrechtsregime der DDR als staatsfeindlich eingestuft wurde. Jahrzehntelang haben Angehörige der Vermissten verzweifelt nach Lebenszeichen und Antworten gesucht. Gefunden haben sie bis zur Wende nichts. Denn die offiziellen Stellen der DDR und UDSSR gaben keine Auskunft. Erst nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten und dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden die Archive geöffnet und Informationen gelangten ans Tageslicht.

Den Ermordeten wird hier auf Doolia.de gedacht.

Bild: Amtsgericht Berlin Lichtenberg, Wikipedia
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